In diesem Abschnitt wird der Regelbetrieb auf Standorten der Munitionsproduktion und der Munitionslagerung betrachtet. Dabei liegt das Augenmerk insbesondere auf dem Zeitraum des Ersten und Zweiten Weltkriegs. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Produktionsstätten und –lager des Ersten Weltkriegs teilweise lageidentisch mit späteren Standorten waren oder demilitarisiert worden sind. Standorte der Munitionsproduktion nach Ende des Zweiten Weltkriegs werden heute zivil-gewerblich betrieben. Munitionsdepots werden von der Bundeswehr betrieben. Bei beiden Nutzungstypen wird von keiner Kampfmittelbelastung, die vom Regelbetrieb verursacht wurde, ausgegangen.
Kampfmittelbelastungen, die auf derartigen Standorten durch Demontagen nach Ende des Regelbetriebs oder durch Munitionsvernichtungen eingetreten sind, werden im Anhang A-2.1.4.4 „Munitionsvernichtung“ behandelt.
Waffen und dazugehörige Munition sind zentrale Ausrüstungsbestandteile aller Streitkräfte. In Friedens- und Kriegszeiten war (und ist) deshalb die ausreichende Ausstattung und der notwendige Nachschub sicherzustellen. Diese Aufgaben übernahmen früher militärische und zivil-gewerbliche Produktionsstätten sowie militärisch betriebene Depots.
Aufgrund der unterschiedlichen Waffensysteme, deren Weiterentwicklung, spezieller Anforderungen sowie nationenunabhängiger Entwicklung, gab (und gibt) es die unterschiedlichsten Arten und Typen von Munition. Beispielsweise reichte die Bandbreite der von der Wehrmacht eingesetzten Munition von der 6,35-mm-Pistolen-Patrone bis zu den 5 t wiegenden Projektilen des 80 cm-Eisenbahngeschützes „Schwerer Gustav“.
Im Einzelnen sind sowohl für den Ersten als auch den Zweiten Weltkrieg zu berücksichtigen:
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass die Lage der Standorte bekannt ist. Eine detaillierte Beschreibung der Munitionsproduktion und -lagerung während des Zweiten Weltkriegs findet sich u. a. bei PREUß & EITELBERG (1996): Rüstungsaltstandorte – Teil 2: Materialien über ehemalige Anlagen und Produktionsverfahren auf Rüstungsaltstandorten. – Handbuch Altlasten der Hess. Landesanstalt für Umwelt, Wiesbaden.
Die Produktionsabläufe und Handlungsprozesse von Industrie, Wirtschaft und Militär bei der Herstellung und Lagerung von Munition zu Kriegszeiten bzw. Zeiten der Aufrüstung sind archivarisch meistens gut dokumentiert. Es finden sich z. B. übergreifende Materialien zur Lage der deutschen Kriegswirtschaft, Beschreibungen von Produktionsprozessen, Vorschriften zur Handhabung der Munition, Lagepläne, Gebäudelisten und Bauunterlagen von Produktionsstätten und Munitionsanstalten, militärisch-strategische Befehle etc. Die Rekonstruktion wird vielfach durch standardisierte Produktionsprozesse und Standardbauweisen erleichtert. Damit ist eine Analogiebearbeitung sehr gut möglich.
Angaben zu Produktions- und Lagermengen sind dagegen nur lückenhaft überliefert. Sie können häufig nur geschätzt werden.
Die Arbeitsteilung der deutschen Munitionsherstellung in metallverarbeitende Industrie, chemische Explosivstoff- (Sprengstoffe und Pulver) und Kampfstofferzeugung sowie die Schussfertigmachung, Lagerung und Ausgabe durch die Munitionsanstalten spiegelt sich in den archivarischen Quellen wieder. Deshalb ist vor einer Recherche eine genaue Analyse der Provenienz möglicher Quellen notwendig.
Wesentliche Quellen zum Thema Munitionsherstellung und -lagerung finden sich in folgenden überregionalen Archiven (in Auswahl):
Zusätzlich sind zahlreiche Archive auf Landes- und kommunaler Ebene sowie Firmenarchive zu nennen.
Standorte der Munitionsproduktion und Lagerung waren für die alliierte Luftaufklärung von besonderem Interesse. Folglich existieren hier in vielen Fällen Kriegsluftbilder sehr guter Qualität.
Neben den verschiedenen Archivalien liefern Literatur, wissenschaftliche Arbeiten, Fachgutachten, Karten und Zeitzeugen Informationen.
Bei Standorten der Munitionsproduktion und -lagerung handelt es sich um komplexe Produktions- und Logistikbetriebe, deren Rekonstruktionen zumeist umfangreiche Recherchen notwendig machen. Die Geheimhaltung während des Zweiten Weltkriegs hat zu einer geringen Verbreitung der Dokumente geführt. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurden zudem viele Dokumente vernichtet. Das besondere Interesse der Alliierten an den deutschen Technologien hat zu einer Verbringung der erbeuteten Unterlagen ins Ausland geführt.
Vergleichbares gilt für die Dokumente des Ersten Weltkriegs, deren Überlieferungen insbesondere durch die Vernichtungen während des Zweiten Weltkriegs nur noch sehr lückenhaft sind.
Aus diesen Gründen sind die Recherchen in allen möglichen Archiven im In- und Ausland durchzuführen. Bereits durchgeführte Recherchen im Rahmen der Rüstungsaltstandort-Programme der Länder sind dabei zu berücksichtigen.
Die Komplexität der Standorte erfordert einen hohen Sachverstand und langjährige Erfahrung bei der Auswertung der Archivalien. Insbesondere sind Kenntnisse in Produktionsprozessen und Logistikabläufen notwendig. Hierzu gehören bedarfsweise Kenntnisse zur Chemie, Chemischen Technologie, Waffen- und Munitionskunde.
Eine Kampfmittelbelastung kann während des Regelbetriebs nur auf Standorten eingetreten sein, die Explosivstoffe und Munition produziert oder gelagert haben. Hierzu gehören die Munitionsanstalten und die zivil-gewerblichen Rüstungsbetriebe.
Die Munitionsproduktion und -lagerung stellen für den Menschen und für die Produktionsanlagen ein hohes Gefährdungspotenzial dar. Die Sicherheitsbestimmungen waren entsprechend hoch ausgelegt. Munition ist ein wertvolles Produkt, was unmittelbar kriegswichtige Bedeutung hat. Deshalb hat der produktionsbedingte Regelbetrieb nur im Ausnahmefall zu einer Kampfmittelbelastung geführt. Folgende Möglichkeiten sind zu berücksichtigen:
Im ersten Fall wird die Rekonstruktion des Unfalls und der damit einhergehenden Kampfmittelbelastung nur durch intensive Recherchen möglich sein. Die Ausprägung der Belastung hängt ab von verschiedenen Faktoren, wie z. B.
Sie kann nicht generalisiert werden und unterliegt dem Einzelfall.
Die planmäßige Entsorgung von Munition fand auf sog. Brandplätzen statt. Struktur und Lage innerhalb von Produktionsstandorten und Munitionsanstalten lassen sich häufig genau rekonstruieren. Die Abfälle, die beim Brand anfielen, wurden in unmittelbarer Nähe deponiert. Durch die Rekonstruktion können diese Stellen lokalisiert und damit auch die räumlich begrenzten Kampfmittelbelastungen festgestellt werden.
Vergleichbares gilt für die Standorte der Explosivstoffherstellung. Es ist zu berücksichtigen, dass auf derartigen Standorten häufig Untergrundverunreinigungen existieren, deren Bearbeitung auf Basis des Bundesbodenschutzgesetzes (BBodSchG) und den Baufachlichen Richtlinien Boden- und Grundwasserschutz (BFR BoGwS) erfolgt.
Kampfstoffmunition wurde bei Verdacht auf undichte Wandungen und Behältnisse in unmittelbarer Nähe des Lagerortes, z. B. des Bunkers, vergraben. Manchmal wurde derartige Munition mit Kalk überdeckt. Diese punktuellen Vergrabungen wurden aktenmäßig nicht genau lokalisiert und sind auch luftbildsichtig häufig nicht festzustellen, so dass im Allgemeinen keine konkreten Verdachtsmomente und -lokalitäten benannt werden können.
Die zu erwartenden Kampfmittel können das gesamte Spektrum der produzierten und gehandhabten Munition umfassen. Eine Eingrenzung auf bestimmte Typen ist nicht möglich. Dies kann nur durch die Historisch-genetische Rekonstruktion erfolgen.
Eine allgemeine Einschätzung der Gefährdungspotenziale für Standorte der Munitionsproduktion und Munitionslagerungen, die im Regelbetrieb eingetreten sind, ist nicht möglich. Eine Beurteilung muss immer einzelfallbezogen erfolgen.
Im Gesamtkontext der heutigen Kampfmittelbelastung sind die Belastungen, die aus dem Regelbetrieb der Munitionsproduktion und -lagerung entstanden sein können, nur ausnahmsweise von Bedeutung.