Das Verursachungsszenarium „Munitionsvernichtung“ beschreibt geplante oder ungeplante Vorgänge, die zu Kampfmittelbelastungen durch
geführt haben können und die unabhängig von Kampfhandlungen während der beiden Weltkriege und der Folgezeit entstanden sind.
Kampfmittelbelastungen durch verschüttete oder zurückgelassene Munition in Stellungen werden im Verursachungsszenarium „Bodenkämpfe“ behandelt. Munitionssprengungen für die militärische Ausbildung sind im Verursachungsszenarium „Militärischer Regelbetrieb“ beschrieben.
Die Beseitigung von aufgefundener, nicht verwendungsfähiger oder nicht mehr benötigter Munition erfolgte
Nach dem Ende der Kampfhandlungen wurden durch die alliierten Truppen häufig mehr oder weniger große Munitionsvorräte gefunden. Um sie den deutschen Truppen und der Zivilbevölkerung zu entziehen, waren speziell ausgebildete militärische Einheiten (z. B. sog. Bomb Disposal Groups der US-Armee) im Einsatz. Diese suchten und vernichteten derartige Funde in der Regel an Ort und Stelle durch Sprengung. Die Arbeiten erfolgten unter Kriegsbedingungen und waren durch eine schnelle und professionelle Vorgehensweise gekennzeichnet.
Nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte die Munitionsdelaborierung und -vernichtung in der Zuständigkeit der Reichstreuhandgesellschaft und unter Aufsicht der Interalliierten Militär-Kontrollkommission (IMKK). Sie erfolgte generell in eigens dafür eingerichteten Zerlegestellen, die wegen der dort vorhandenen Infrastruktur häufig in den ehemaligen Artilleriedepots, Geschossfabriken und Feuerwerkslaboratorien eingerichtet wurden. Die Delaborierung wurde von privaten Firmen durchgeführt.
Im Gegensatz zu den Delaborierungen nach dem Ersten Weltkrieg wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs Munition zumeist durch Sprengung vernichtet. Hierzu richteten die alliierten Besatzungsmächte Sammel- und Sprengstellen an den verschiedenen Orten ein. Häufig wurden ehemalige Munitionsanstalten oder Depots genutzt. Hier wurden die bereits vorhandene Munition und Munition von anderen Fundstellen weiter behandelt. Diese Arbeiten wurden zumeist von deutschen Arbeitern unter Aufsicht der alliierten Militärbehörden durchgeführt. Später übernahmen diese Arbeiten die neu gegründeten staatlichen Stellen und auch private Firmen.
Eine weitere gängige Art der Munitionsvernichtung war die Versenkung in nahegelegenen Teichen, Seen oder Flüssen. In der Nord- und Ostsee wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Munitionsversenkung planmäßig betrieben. So gibt es in der Nordsee mindestens vierzehn, in der Ostsee mindestens zwölf Munitionsversenkungsgebiete, die vom Deutschen Hydrographischen Institut nach Koordinaten erfasst und in Seekarten ausgewiesen wurden.
Die Rohstoffknappheit nach den Weltkriegen verleitete die Bevölkerung, Munition und Munitionsteile zu sammeln, um die darin enthaltenen Wertstoffe zu gewinnen. Dies führte zu einer unsystematischen „Munitionsräumung“ bzw. zu einer Verschleppung von Lagerbeständen und oft zu ungewollten Detonationen.
Die Rekonstruktion von Munitionsvernichtungen basiert auf schriftlichen und kartografischen Quellen und auf Luftbildern. Zeitzeugen und Zeitungsberichte liefern häufig wichtige Informationen. Diese Quellen finden sich in Archiven aller hierarchischen Ebenen im In- und Ausland.
Zu den übergeordneten Archiven zählen u. a.:
In den regionalen und lokalen deutschen Archiven finden sich unterschiedlich umfangreiche, aber immer zu berücksichtigende Dokumente, die die Vorgänge häufig detailliert beschreiben. Hierzu gehören neben den eigentlichen Dokumenten der Vernichtungsorganisationen (z. B. im Bayerischen Hauptstaatsarchiv Archivalien zur StEG) auch Polizeiakten (wichtig bei Detonationen) und Akten kommunaler Einrichtungen zu den Vorgängen in den Vernichtungsstellen.
Luftbilder und auch Bodenfotos sind eine wichtige Informationsquelle für die Rekonstruktion derartiger Vernichtungsstellen. Allerdings liegen für den Zeitraum Sommer 1945 bis Anfang der 50er Jahre meist keine Luftbilder vor, so dass hier eine wesentliche Informationslücke besteht. In derartigen Fällen können aus den Luftbildern, die für den Zeitraum ab 1953 wieder vorliegen, trotz des häufig langen Zeitabstands zu den Ereignissen, noch wertvolle Informationen gewonnen werden. Bodenfotos können wichtige Informationen zu den Zuständen und zur Örtlichkeit von belastungsverursachenden Vorgängen geben. Sie sind allerdings nur zeitaufwändig zu recherchieren.
Die Vorgänge bei der Versenkung in Gewässern und die Entsorgung in Abgrabungen lassen sich lediglich mit Dokumenten und Zeitzeugen hinreichend rekonstruieren.
Die Handlungen unberechtigter Zivilpersonen lassen sich nur durch Zeitzeugenbefragungen feststellen. Bei ungewollten Detonationen können Polizeiberichte entsprechende Informationen enthalten.
Das große Spektrum der möglichen Munitionsvernichtungen bedingt zumeist eine breit angelegte Archivrecherche. Die Kenntnis der regionalen und lokalen Verhältnisse, Zuständigkeiten und Strukturen bildet die Grundlage für die erfolgreiche Recherche nach Archivalien. Dabei sind die Bestände in übergeordneten in- und ausländischen Archiven mit denen regionaler und lokaler Archive eng verzahnt zu bearbeiten. Zeitzeugenbefragungen bilden – auch wegen des Fehlens zeitnah geflogener Luftbilder – eine wichtige Informationsquelle. Die erfolgreiche Recherche setzt damit eine detaillierte Recherchestrategie unter Berücksichtigung aller möglichen, auch „exotisch“ erscheinender Archive und Bestände voraus.
Die Rekonstruktion von Kampfmittelbelastungen aus der Entsorgung von Munition ist durch die lückenhafte und fragmentarische Quellenlage charakterisiert. Der Bearbeiter hat die häufig widersprüchlichen oder bruchstückhaften Informationen genau zu prüfen und gegeneinander abzugleichen. Die Schlussfolgerungen und Kenntnislücken sowie die Aussagesicherheit sind dementsprechend differenziert darzustellen.
Wichtig sind Kenntnisse über die damaligen Arbeitsweisen bei der Munitionsvernichtung. Detaillierte Kenntnisse über die Eigenschaften auch beschädigter Munition sind für die Gefährdungsabschätzung unerlässlich.
Kampfmittelbelastungen können durch das Sprengen, Verbrennen und Vergraben von Munition entstanden sein.
Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass sich aus den planmäßigen Zerlegearbeiten nach dem Ersten Weltkrieg nur geringe Kampfmittelbelastungen ableiten lassen.
Wesentliche Kampfmittelbelastungen ergeben sich aus den planmäßigen Munitionssprengungen und unbeabsichtigten Detonationen. Die Sprengungen unter Kriegs- und Nachkriegsbedingungen erfolgten aus heutiger Sicht in aller Regel so, dass nur ein (kleinerer) Teil der zu vernichtenden Munition wirklich beseitigt wurde. Der überwiegende Teil der gesprengten Munition wurde durch den Luftstoß in die Umgebung verteilt. Die Auswurfradien dieser Sprengstellen sind unterschiedlich groß ausgebildet und können mehr als einen Kilometer groß sein. Die Flugrichtung war in der Regel in alle Richtungen annähernd gleich. Bei Sprengungen innerhalb von Munitionsbunkern oder umwallten Sprengstellen können aber vom Sprengort bestimmte, bevorzugte Flugrichtungen entstanden sein.
Insgesamt resultiert aus Munitionssprengungen eine diffuse Kampfmittelbelastung relativ großer Flächen, die fallweise eine klare räumliche Verteilung und einen deutlichen Gradienten aufzeigen kann.
Bei Sprengungen innerhalb von Gebäuden (z. B. Munitionsbunkern) stürzten die Gebäudedecken ein und begruben einen Teil der ungesprengten oder unverbrannten Munition unter sich.
Das Sammeln und Bearbeiten von Kampfmitteln durch unberechtigte Personen zur Wertstoffgewinnung kann zu kleinräumigen Kampfmittelbelastungen geführt haben. Die Ausprägung hängt vom Einzelfall ab.
Munition jeder Art und Sorte wurde nach Ende der Kampfhandlungen und der Kriege entsorgt und vernichtet. Das Kampfmittelspektrum eines einzelnen Belastungsgebietes hängt entscheidend von den dort vernichteten Munitionsbeständen ab. Die Munition kann aus deutscher Produktion, aus mit dem Deutschen Reich verbündeten Staaten stammen oder als sog. „Beutemunition“ von damals gegnerischen Staaten hergestellt worden sein. Eine räumliche, qualitative und quantitative Differenzierung der möglichen Kampfmittelbelastung ist durch eine Historisch-genetische Rekonstruktion möglich.
Das Spektrum der hier zu berücksichtigenden Kampfmittel umfasst sämtliche Arten und Sorten. Durch das nicht professionelle Sprengen wurde die Munition unkontrolliert verändert. Die Munition wurde mehr oder weniger beschädigt, aufgerissen und fragmentiert. Neben der Detonationsgefahr tritt noch eine Vergiftungsgefahr durch den Kontakt mit den Explosivstoffen hinzu.
Durch die häufig hohen Fundmengen und zumeist unklaren Zustände der Kampfmittel und deren oberflächennahe Lage ist das Gefährdungspotenzial im Bereich von Sprengstellen als hoch einzuschätzen.
Die Kampfmittelbelastungen des Verursachungsszenariums „Munitionsvernichtung“ stellen wegen ihrer intensiven und häufig gefährdungsrelevanten Ausprägung aus heutiger Sicht problematische und häufig sehr kostenintensive Belastungen dar. Sie bedürfen deshalb der intensiven Erkundung und Gefährdungsabschätzung und der detaillierten Räumplanung.